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Ziegenhain bei Jena


Der Pyramidenkanzelaltar aus Jena-Ziegenhain


01.12.2008: Die Kunst- und Kulturlandschaft Thüringens ist reich an Kanzelaltären. Ausgehend von den Schlosskapellen der Thüringer Residenzen, verbreiteten sie sich in verschiedenen Varianten rasch bis in die kleinsten Dorfkirchen. Nach der Blütezeit im 18. Jahrhundert entstanden weitere, neue Kanzelaltäre bis in das frühe 20. Jahrhundert.

Mit Ende des Ersten Weltkriegs empfand man diese, den Kirchenraum stark prägende Ausstattungsstücke jedoch als unmodern. Mancher Kanzelaltar musste noch bis vor wenigen Jahren aus den Kirchen weichen - was oftmals seiner Zerstörung gleichkam.

Eine besondere, relativ seltene Variante stellt der Pyramidenkanzelaltar dar, dessen ältestes nachweisbares Beispiel 1658 für die Weimarer Schlosskapelle entstand. Er diente zugleich als Grabdenkmal über der Gruft Herzog Wilhelms IV. von Sachsen-Weimar. Bei einem Brand 1774 vollständig vernichtet, gilt heute der 1694 entstandene Kanzelaltar aus Jena-Ziegenhain als frühestes Beispiel in dessen Nachfolge. Vor allem die außergewöhnlichen verwendeten Materialien machen den Pyramidenkanzelaltar zu einem überregional bedeutsamen Kunstwerk.
Typisch ist sein durch Palmensäulen eingefasster Kanzelkorb unter einem pyramidenförmigen Baldachin. Die Pyramide, in Jena-Ziegenhain steil wie ein Obelisk gestaltet, gilt als Ewigkeitssymbol. Ein vorgesetztes, gemaltes Medaillon mit dem Kopf Christi wird durch die Symbole der vier Evangelisten ergänzt. Die gekrönten Initialen, aus dicker Pappe geschnitten, verweisen an den Pyramidenseiten auf die Stifter. Das schlichte, durchbrochene Holzgerüst wird durch zahlreiche Applikationen bereichert: Farbig gefasste Reliefs aus Papiermasché, kleine Kiefernzapfen, Bänder und Hanfschnüre stellen pflanzliche Ranken mit Blattwerk, Fruchtbündeln und Engelsköpfen dar. Trotz der billigen Materialen gelingt hier ein eindrucksvoller Effekt.

Der auf den ersten Blick reich stuckierte Kanzelkorb - vermutlich erst nachträglich hinzugefügt - erweist sich beim genaueren Hinsehen als mit Papiermasché verziert. Auch das Relief Martin Luthers wurde aus diesem preiswerten Ersatzstoff gefertigt. Die seitlich angefügten Palmen stehen sinnbildlich für die wahre Kirche und Glaubensgerechtigkeit. 
Durch die Präsentation von Kanzelkorb, Pyramidenbaldachin sowie einigen Einzelstücken auf der Leipziger Denkmal-Messe (Messestand KIBA in Halle 2) wird es dem Besucher ermöglicht, den trotz seines restaurierungsbedürftigen Zustands – der Kanzelaltar wurde bisher nur in Teilen notgesichert – eindrucksvollen Aufbau aus der Nähe in Augenschein zu nehmen.


(Der Pyramidenkanzelaltar in Jena-Ziegenhain, Quelle: privat)


(Quelle: Leipziger Messe)

http//www.denkmal-leipzig.de/LeMMon/denkmal_web_ger.nsf

 


Martin Luther grüßt wieder über dem Altar


 

Mehr als dreihundert Jahre wurden die Besucher der Marienkirche in Ziegenhain vom Altar aus mit einem Bildnis von Martin Luther konfrontiert. Allerdings ist dies heute selbst den Alteingesessenen der Gemeinde Ziegenhain nicht mehr bewusst gewesen (Abb. 1).

Abb. 1 Die Marienkirche von Ziegenhain mit dem Pyramidenkanzelaltar von 1694 bis 1989 zentraler Schwerpunkt  der Kirche

 

Im Laufe der Jahrhunderte hatte dieses ausdrucksstarke Relief aus Papiermaché ebenso wie der gesamte Altaraufbau viel an seiner Aussagekraft verloren. (Abb. 2).

Abb.2 Der Kanzelkorb des Pyramidenkanzelaltars mit einem Relief von Martin Luther

Mit seinem Pyramidenüberbau fand dieser Altar große Aufmerksamkeit auf der „Europäischen Messe für Denkmalpflege, Restaurierung und Altbausanierung“, die vom 20 bis 22 November 2008 in Leipzig stattgefunden hat (Abb.3).

Abb. 3 Pyramidenaufsatz des Pyramidenkanzelaltars

 

Über die Kulturgutbeauftragte der Landeskirche Frau Dr. Schälow-Weber wurde an die Gemeinde in Jena die Anfrage gerichtet, ob die Gemeinde in Ziegenhain diesen Altar nicht wieder in der Kirche sehen wollte. Dieses Ansinnen fand zunächst nur bei den Bürgern von Ziegenhain Zustimmung, da für die Kirchgemeinde und die Pfarrer die schlichte Gestaltung des Kirchenraums ( Abb.4) bevorzugt wurde.

Abb. 4 Die Marienkirche Ziegenhain vor dem Einbau des restaurierten Pyramidenkanzelaltars im September 2016

 

Nach einer sehr lebendigen Diskussion in der Kirchgemeinde wurden nach einer sorgfältigen Bestandserfassung, einer Projektstudie und auf der Grundlage eines Kostenplans von  Diplomrestauratorin Christine Machate aus Erfurt 2014/2015 durch die Kirchenleitung Jena die erforderlichen Fördermittel beantragt.

Die Hauptlast der Finanzierung übernahm das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (TLDA). Landeskirche, örtliche Kirchgemeinde und ein Interessenkreis für den Altar von Anwohnern in Ziegenhain schafften durch vielfältige Spendeneinwerbung die Voraussetzungen für die Restaurierung.

Unabhängig von den finanziellen Aufwendungen war die Rückführung des Altars an seinen alten Platz in der zuständigen Kirchgemeinde Jena umstritten.

Die Frage der Kirchenerneuerung ist für Thüringen seit der Reformation ein ständig aktuelles Kapitel der Kirchengeschichte. Beispielhaft sei nur an die Auseinandersetzung zwischen Martin Luther und Andreas Bodenstein, genannt „Karlstadt“, der seit 1523 Pfarrer in Orlamünde war, erinnert. Während Karlstadt das Volk zur Reinigung der Kirchen von Heiligenbildern und Kirchengerät aufrief, was in einigen Gegenden zu einem zerstörerischen Bildersturm führte, wollte Luther den Missbrauch der Bilder verhindern. Bilder sollten nicht als „Götzenbilder“ angebetet werden, sondern der Belehrung der Menschen im Gotteshaus dienen. Über den Verbleib des nicht mehr notwendigen Kirchenschmucks solle die „Obrigkeit“ entscheiden und nicht der „Pöbel“. Luthers Predigten gegen die „teuflischen Geister, die Kirchen und Bilder zerstören“, so auch am 22. August 1524 in der Michaeliskirche in Jena, trugen wesentlich zum Erhalt des mittelalterlichen kirchlichen Kunstguts in Thüringen bei.

Diese Kontroverse war in der Kirchengeschichte Thüringens immer wieder lebendig. So schreibt Gerhard L’Arronge in seiner 1921 in Jena vorgelegten Dissertation über „Der Thüringer Kanzelaltar von 1700 bis 1850. Eine Studie über protestantische Kirchenkunst“ „Häufig kann man dem nüchternen, praktischen Willen begegnen, die ‚uralten’ Kanzelaltäre zu beseitigen, um moderner ‚Erneuerung’ Raum zu gebe.“…und weiter „Angesichts solcher Erneuerungswut…ist es Pflicht, durch Publizierung der alten Kunstwerke auf das allgemeine Interesse hin zuwirken, um sie zu schützen“.

Im Sinne dieses Anliegens haben sich Anwohner von Ziegenhain in einem Interessenkreis zur Rückführung des Pyramidenkanzelaltars in die Kirche zusammengetan. Für die Erhaltung dieses historisch und ikonologisch in Thüringen einmaligen Kunstwerkes in der Marienkirche Ziegenhain wurde ein Sonderkonto bei der Sparkasse Jena eingerichtet..

 

IBAN: DE47 830530 30 0000 60097

 

Spenden sind auch jetzt noch sehr willkommen.

 

Die Lutherdekade ist eine historische Chance, die protestantischen Kirchendenkmäler vor einem weiteren Verfall oder der Vernichtung zu bewahren.

Sehr beeindruckend waren die Ergebnisse der Restaurierung, wie bei dem Luther-Relief in Abb. 5 deutlich zu erkennen ist.

Abb. 5 Martin Luther auf der Kanzelfront offensichtlich nach einer Vorlage von Lucas Cranach (siehe Abb. 6)

 

Viele Details sind nun wenn die Gerüste gefallen sind wieder in der Kirche zu bewundern. Die Kirche hat damit unter den Dorfkirchen im Umfeld von Jena ein neues Gesicht bekommen (Abb. 6), das zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der protestantischen Kirchengeschichte in Thüringen anregen kann.

Der Restauratorin und den Handwerkern, die dieses einmalige Denkmal in mühevoller Handarbeit wieder in alter Schönheit geschaffen haben, sowie den zahlreichen Spendern, die mit ihren Gaben die Umsetzung des Vorhabens ermöglichten ist auch an dieser Stelle herzlich zu danken.

Abb. 6

Wir sind für alle geistliche, intellektuelle und finanzielle Unterstützung dankbar. Informationen und Anfragen erhalten Sie …………

 

Klaus Heide

Jena, 16.08.2016

 

Anhang

Nach den vorliegenden historischen Aufzeichnungen wurde der Pyramiden-Kanzelaltar in Ziegenhain in den heute noch vorliegenden Teilen durch den „Kirchenrath und Hofprediger“ Johann Schlemm 1694 „gestiftet“. Johann Schlemm war von 1679 bis 1701 als Besitzer des „Erb-Guths Ziegenhayns“ ein Bürger von Ziegenhain.

Nach Wiedeburg (1784) ist es möglich, dass bereits vor 1694 ein Kanzelaltar in der Kirche vorhanden war. Johannes Schlemm hätte dann einen Umbau, wie den seitlichen Einstieg in die Kanzel und die Ergänzung durch zwei Palmensäulen und den Pyramidenaufsatz, veranlasst (Abb. 1)

Die Ähnlichkeit der Initialen auf dem Pyramidenaufsatz von 1694 und der Patronatsloge von 1691 deuten auf den gleichen Stifter hin.

Die Teile des Altars waren im Kunstgutmagazin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringens in Apolda eingelagert. Eine Besonderheit der Kanzel ist ein Halbrelief Martin Luthers auf der Vorderseite des Kanzelkorbs (Bild 5). Die teilweise restaurierten Schmuckelemente des Altars aus Papiermaché und Naturprodukten, wie Hanfseile und Kiefernzapfen beeindrucken heute den Betrachter durch ihre Fröhlichkeit und Helligkeit.

Der Altar wurde während der Restaurierung des Kircheninnenraums 1991 aus der Kirche in Ziegenhain entfernt. .